Das interdisziplinäre Seminar setzt sich aus Studierenden der Theologie (Kirchliche Hochschule/BU) und der Germanistik (BU) zusammen. Es werden alttestamentliche und literarische Visionstexte mit Bezug auf aktuelle Konzepte der Raumnarratologie diskutiert.
Alle Erzählungen transportieren ihre Leser*innen oder Hörer*innen virtuell aus einem gegebenen realen Raum in einen anderen Raum, in dem sich die Geschichte abspielt. Bei visionären Erzählungen ist dieser Transport besonders komplex: Visionen werden von bzw. über jemanden erzählt, der selbst durch eine Vision, einen Traum oder eine Reise in eine transzendente Wirklichkeit versetzt wird. Der visionäre Raum kann ganz unterschiedlich gestaltet sein: real oder imaginär, möglich oder unmöglich, stabil oder fließend. Interpretation und Geltungsanspruch hängen entscheidend davon ab, ob er als Schauplatz einer religiösen Vision oder einer literarischen Fiktion verstanden wird. Prophetische Visionserzählungen sind zugleich Mittel und Legitimation von Verkündigung. Die Botschaft ist jedoch weniger eindeutig, als die Texte suggerieren: Durch die Unschärfe zwischen Gezeigtem und Gehörtem, durch das Ausgesparte, entsteht ein offener Raum für die Imaginationen der Rezipient*innen.