„Neue Wege, Gott zu begegnen“
Glaubt der Mensch nur, wenn er gerade nicht anders kann? Oder ist der Glaube eine göttliche Realität, die unabhängig von menschlichen Launen existiert? Der evangelische Theologe Dr. Brandon Watson hat zu diesen Fragen geforscht. Seine wegweisenden Antworten stellt er am 22. November 2022 an der Kirchlichen Hochschule (KiHo) Wuppertal vor.
Viele Menschen beginnen zu glauben, wenn sie keine Alternative mehr sehen, etwa wenn ihr Verstand das Weltgeschehen nicht mehr erklären vermag oder die Wissenschaft keine Antwort mehr auf komplexe Fragestellungen liefert. Der Glaube erscheint in diesem Moment als spontan wählbare Option, die jenseits rationaler Grenzen zwar Halt und Sicherheit bietet, die der Mensch aber je nach Belieben an- und abschalten kann. In diesem Modell spielt Gott keine absolute Rolle mehr.
Aus theologischer Sicht erscheint dieser Ansatz äußerst unbefriedigend, da er den Glaubensbegriff allein den menschlichen Launen unterwirft. Der Theologe Karl Barth stellte diese Perspektive schon Anfang des 20. Jahrhunderts in Frage, indem er postulierte, dass der Glaube eines Subjekts (Mensch) immer in Verbindung zu einem Objekt (Gott) stehen müsse. Würden dieses Subjekt und dieses Objekt nicht zusammen gedacht, höre der Glaube auf, Glaube zu sein.
Die Glaubensfrage Jüngels ist für die ganze Systematische Theologie relevant
Der Theologe Eberhard Jüngels verfeinerte diesen Glaubensbegriff in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bezug auf die Theologie Barths. Er leitete her, warum der Glaube ontologisch allein in Gott begründet werden könne. Ein ontologisch begründeter Glaube erklärt sich nicht mehr aus der dynamischen Beziehung von Menschen und Gott, sondern als bedingungsloses Strukturelement der göttlichen Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. In dieser Weise stellte Jüngel die Frage: „Wenn die Erwählung wirklich in Jesus Christus als Geschichte zwischen Gott und Mensch verstanden wird, muss dann mit dem Sein des Menschen Jesus am Anfang bei Gott nicht auch vom Glauben die Rede sein?“
„Wenn wir die Glaubensfrage Jüngels aufnehmen, dann sind die Folgen für die ganze Systematische Theologie relevant“, sagt Dr. Brandon Watson, der an der Kirchlichen Hochschule (KiHo) Wuppertal lehrt. „Denn dann verstehen wir Gott nicht nur als Bedingung für die menschliche Existenz, sondern auch als Bedingung der Möglichkeit des menschlichen Glaubens.“
Die Menschwerdung Jesu Christi als unmittelbaren Bestandteil der göttlichen Dreieinigkeit verstehen
Watson folgt einem geschichtlichen Glaubensbegriff, der abhängig von der Menschwerdung Jesu Christi existiert. Er schlägt vor, die Menschwerdung Jesu Christi und seine Mittlerrolle zwischen Gott und Mensch als unmittelbaren Bestandteil der göttlichen Dreieinigkeit zu verstehen. In seiner Argumentation rückt der Theologe vor allem das von Barth entwickelte, aber wenig untersuchte Konzept der Anerkennung in den Mittelpunkt. „Auf diese Weise gelingt es, Jesus Christus nicht nur als Objekt des menschlichen Glaubens zu sehen“, sagt Watson. „Er wird damit auch zu einem eigenen Subjekt des Glaubens, das wiederum den menschlichen Glauben ermöglicht.“
Diese Erkenntnis biete, so Watson weiter, für kirchliche und nicht-kirchliche Kreise neue Möglichkeiten, systematisch und erkenntnistheoretisch darüber nachzudenken, wie Menschen ihren Glauben verwirklichen. „Ein ontologischer Glaubensbegriff eröffnet den Menschen neue Wege Gott zu begegnen,“ sagt er. „Denn damit wird der Glaube zu einer festen Größe, die nicht den Schwankungen des menschlichen Daseins unterworfen ist.“
Im Rahmen der „Systematisch-Theologischen Sozietät“ referiert Dr. Brandon Watson am 22. November 2022 von 18.00 bis 20.00 Uhr zum Thema „Der Glaube Gottes und die Anerkennung Jesu.“ Die Veranstaltung findet im Hörsaal 3 der KiHo statt. Interessierte sind herzlich eingeladen.